Universitätssiegel
Mitarbeiter

Dr. Bertil Mächtle
Prof. Dr. Thomas Meier (Universität Heidelberg, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie)
Mario Ranzinger
Arjan Conijn

 
Laufzeit

Januar 2016 – Februar 2019

 
Finanzierung

Thyssen

 
Heidelberg Center for the Environment

HCE

 

Forschungsprojekt

Rheinstromkarte bei Mechtersheim

Ausschnitt der Rheinstromkarte von Wilhelm Besserer aus dem Jahr 1595. Die Ortsflur von Mechtersheim (oben) wird durch einen Damm gegen den Rhein geschützt.

Land unter? – Hochwasser und Hochwasserschutzmaßnahmen am Oberrhein zwischen dem frühen und hohen Mittelalter

Im Westen Europas, an der Rhône und Loire, und auch am Unterlauf des Rheins, wurden spätestens seit dem 12. Jahrhundert Schutzbauten gegen Hochwasser errichtet. Doch für den Mittel- und Oberrhein fehlten bislang vergleichbare Untersuchungen. Wann also begann man am Oberrhein erste mittelalterliche Schutzbauten anzulegen? Insbesondere stellt sich auch die Frage, wie die naturräumlichen und mentalen Ausgangsbedingungen für diese Maßnahmen ausgesehen haben? Diesen Fragen geht das von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierte interdisziplinäre Forschungsprojekt Land unter? nach.

Ziel des Projekts ist es, eine Geschichte der mittelalterlichen Flusslandschaft des Oberrheins als Zusammenwirken von Fluss und Mensch aus der Zusammenschau der Fallstudien zu entwickeln. Im Kontext mit anderen mittel- und westeuropäischen Vergleichsstudien, soll das Projekt auch zukünftig als Modell für die Analyse weiterer Flusssysteme und ihrer frühen Deichanlagen dienen.

Dieser Kontext lässt sich nicht in einen natur- und einen geisteswissenschaftlichen Teil trennen, sondern sowohl in der historischen Logik als auch in der Forschungspraxis beeinflussen sich beide Wissenschaftsfelder gegenseitig in einer Art stetigem „Ping-Pong“. So reagieren Deiche nicht nur auf landschaftliche Entwicklungen, sondern gestalten die Landschaft zugleich mit: Deiche und die zu beschützenden Agrarflächen und die Aggradation des Flusses stehen in einem engen Wechselverhältnis, sowie auch zusätzlich die technische Anlage eines Deiches nicht von seinen soziokulturellen Bedingungen – hier analytisch an der Frage nach den Akteuren strukturiert – getrennt werden kann. In der Forschung liefert die historische Funktion eines Deichs und seines Hinterlands ebenso Anhaltspunkte für eine Datierung, wie die geomorphologische Entwicklung eines Flussabschnitts, auf den sich der Deich bezieht. In der steten Kombination und Kontrastierung dieser verschiedenen Perspektiven, kombiniert mit naturwissenschaftlichen Datierungs- und Analyseverfahren, entsteht in den Fallstudien eine immer besser fundierte Beschreibung der jeweiligen Deiche in ihrer historischen Dimension.

In bislang insgesamt sechs Fallstudien auf beiden Seiten des Rheins zwischen Mannheim und Straßburg entsteht aktuell ein breites Panorama hochmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Deiche in ihren regionalen, landschaftlichen und kulturellen Kontexten.

Fallstudien

Ottersdorf

Ottersdorf

Lage der Rammkernsondierungen und der geoelektrischen Widerstandstomographien im Untersuchungsgebiet (Überlagerung von LiDAR-Daten und TK50 Rastatt 2007, Blatt L7114; Projektion: UTM 32N, WGS84).

Auf der Grundlage von LiDAR-Daten fielen bei der Prospektion durch Fernerkundung anthropogene, linienhafte Anomalien im Gelände auf, welche auf einen heute funktionslosen und flussfernen Deich in der Nähe von Ottersdorf (Lkr. Rastatt) hinweisen. Dieser heute noch aus drei Abschnitten bestehende Deich weist möglicherweise mehrere Errichtungsphasen mit mehreren Reparaturstellen auf. Die LiDAR-Daten zeigen unmittelbar südlich der detektierten Deichlinie einen breiten und von einer kräftigen Dynamik geprägten Altmäander des Rheins. Die westlichen, West-Ost verlaufenden Teile der Deichlinie wirken so, als würden sie sich auf diesen Mäander beziehen. Dies würde die, auf den ersten Blick überraschend abseitige Lage in einigen Kilometern Entfernung zum (heutigen) Rhein erklären. Dieser Altmäander lässt sich mit Archivquellen verbinden, laut denen die Orte Plittersdorf, Ottersdorf und Wintersdorf (das sogenannte Ried) zunächst auf der Elsässischen (linken) Seite des Rheins lagen. Nach einem Durchbruch des Rheins nach einem Hochwasser bei Seltz im Jahre 1306 wurde der Fluss an dieser Stelle ebenfalls schiffbar. Im Zuge eines Zollstreits wurde der alte Rheinarm östlich der Rieddörfer im Jahr 1472 mithilfe von Dammanlagen abgetrennt, was ihn unschiffbar machte. Infolgedessen verlandete das vom Rhein abgeschnittene Gewässer sukzessiv nach dieser Maßnahme. Seither liegen die Rieddörfer zusammen mit dem Deichrelikt auf der Badischen (rechten) Seite des Rheins. Nehmen wir an, dass der im LiDAR-Bild deutlich erkennbare Altmäander mit dem Hauptgerinne des Rheins vor 1306 identisch ist und bis 1472 seinen östlichste Arm gebildet hat, so dürfte letztendlich die begleitende Deichlinie mit höchster Wahrscheinlichkeit vor 1472 zu datieren sein. Die Reparaturstellen im Deich, welche die typischen halbkreisförmigen Kolke umrunden, entstehen bei Deichbrüchen, welche durch enorme Wasserenergien verursacht werden. Diese Schäden sind jedoch nach der Absperrung des Rheinarms im Jahre 1472 wohl kaum noch zu erwarten gewesen.

Bei der Analyse der östlichsten, Nord-Süd gerichteten Dammstruktur wird deutlich, dass der den südlichen Deichteil begleitende Paläomäander einen weiteren, noch älteren Mäander abschneidet, auf den sich der östlichste Teil bezieht. Diese geomorphologische Situation zeigt, dass es sich bei dem Nord/Süd-Damm um den Älteren handeln muss. Zudem zeigen die LiDAR-Daten, dass sich die Bereiche im Vorland des östlichsten Damms, im Vergleich zum Hinterland, auf einem höheren Geländeniveau befinden, was durch die eingetragenen Hochflutsedimente zu einer Aufhöhung der fluvialen Rinne führte und dem Damm seine Schutzfunktion ermöglichte. Dies trifft auch für den West/Ost-Damm zu, denn hier wurde eine tiefer liegende Rinne von einem (auch noch jünger durchflossenen) Altarm des Flusses abgetrennt. Schließlich zeigen die LiDAR-Daten zusätzlich, dass sich hinter diesen Deichen Wölbäckerstrukturen klassifizieren lassen, die teilweise unmittelbar an die Dämme heranreichen. Diese Beobachtungen legen nahe, dass die Dämme zunächst einmal zum Schutz der Ackerflächen angelegt wurden und dass das heutige Höhenniveau der Hochflutrinne erst durch eine Aufsedimentation nach dem Deichbau entstanden ist. Weiterhin steht die Hypothese im Einklang mit den historischen Überlegungen, dass zwei Dammgenerationen existieren, bei welcher die Jüngere (West/Ost-Damm) zudem mehrfach ausgebessert wurde. Die verdeutlicht zusätzlich, dass der Altarm zum Zeitpunkt der Dammerrichtung noch aktiv war. Diese Verknüpfung von Wölbäckerstrukturen, Dämmen und Hochflutaggradation ist bestens dazu geeignet, eine aussagekräftige Merkmalskombination vorzulegen, mit der man gezielt nach vergleichbaren Situationen suchen kann.

Speyer, Domgarten

In der vita über das Leben von Benno II. von Osnabrück wird davon berichtet, dass in den Jahren zwischen 1080 und 1088 in Speyer ein Damm aus gewaltigen Steinblöcken errichtet wurde, um den Speyerer Dom vor den Erosionskräften des Rheins zu schützen (Vita Bennonis II, cap. 21). Mit Blick auf die heutige Geomorphologie der Niederterrasse, auf sich der Dom erhebt, wäre solch ein Damm am ehesten im Süden entlang eines alten, zweifellos erosionsgefährdeten Prallhangs zu erwarten – sofern im späten 11. Jahrhundert ein Hauptarm des Rheins direkt am Fuß der Domterrasse entlangfloss. Intensive Geländearbeiten mittels Geoelektrik und Rammkernsondierung führten jedoch zu dem Ergebnis, dass sich am Fuß der Domterrasse keinerlei Hinweise auf eine derartige aufwändige Maßnahme finden lassen. Dennoch konnte eine tief eingeschnittene fluviale Rinne nachgewiesen werden. Hier wurde offenbar der Versuch unternommen, diese unter Verwendung von Bauschutt zu verfüllen. Damit ist zu erwarten, dass bei Hochwasserereignissen die Fließgeschwindigkeit und damit zugleich die Erosionskraft des Rheins am Fuß des Doms wirksam herabgesetzt werden konnte, was zu einem nachhaltigen Schutz des Doms ebenso beitragen konnte, wie die Anlage eines massiven Damms.

Speyer, Goldgrube

Speyer Süd

Geoelektrische Widerstandstomographie über den östlichsten der drei Dämme nahe der Goldgrube mit Schichtaufbau und magnetischer Suszeptibilität der Rammkernsondierungen R1-3 im zentralen und randlichen Bereich des Dammkörpers.

Bei der Goldgrube handelt es sich um den Rest eines Rhein-Altarms, der im frühen 15. Jahrhundert noch nicht (vollständig) vom Fluss abgeschnitten war und sich, laut einer Archivquelle von 1419, über einen Gießen in Richtung Norden gen Speyer hin fortsetzte. Zugleich war dieser in jener Zeit jedoch durch Deichanlagen abgetrennt. Auf einer aktuellen geomorphologischen Karte sind in diesem Gebiet Reste von Dammlinien verzeichnet, welche sich mittels eines Digitalen Geländemodells (DGM) und eines Gelände-Surveys teilweise identifizieren ließen. Zwar sind diese Deiche auf keiner bekannten frühneuzeitlichen Karte vermerkt, dennoch lässt sich auf Grund der Lage und des Verlaufs annehmen, dass es sich um Dämme handelt, die den ehemaligen Gießen begrenzten. Dadurch, dass eine Funktion dieser Anlagen lediglich sinnhaft war, solange die Goldgrube und der anschließende Gießen noch mit dem Rhein verbunden waren, liegt die Annahme nahe, dass eine Errichtung vor 1419 stattgefunden haben muss.

Speyer, Eselsdamm

Der Eselsdamm erfüllt mit seiner kleinteiligen, geradezu gewundenen Streckenführung ein wesentliches Merkmal für mittelalterliche Dammstrukturen und gilt in der Lokalforschung – aufgrund durchaus vager Rückschlüsse – als Infrastrukturmaßnahme im Zusammenhang mit dem Umbau und Erhalt des Speyerer Doms (Bau II) ab ca. 1080. Das hohe Alter konnte in den durchgeführten Feld- und Laborarbeiten jedoch nicht nachgewiesen werden, da entnommenes, datierungsfähiges Material aus Sedimentproben auf die frühe Neuzeit hinweist. Der Aufbau des Deiches weist einen aufgeschütteten Schuttkern aus Buntstandsteinbruchstücken mit Ziegel- und Mörtelresten auf, über der sich eine geringe circa 1 m starke Deckschickt aus Lössderivaten befindet.

Mechtersheim

Mechtersheim

Vergleich der eingezeichneten Deichlinien in der Rheinstromkarte von 1595 nahe Mechtersheim (a) mit eingetragenen Deichlinien jüngerer Karten (b) Schmitt´sche Karte von Südwestdeutschland 1797 (c) (Grundlage: TK25 Philippsburg 1878, Blatt 6716; Projektion: UTM 32N, WGS84).

In der Kurpfälzischen Rheinstromkarte, der ältesten Karte des Oberrheins (1595), sind mehrere deutlich erkennbare Deichlinien entlang des Rheins eingezeichnet, unter anderem in der Nähe von Mechtersheim (Lkr. Rhein-Pfalz-Kreis). Geomorphologisch liegt die Ortschaft weitgehend hochwassersicher auf einer Übergangsterrasse zwischen der Flussaue und dem Hochgestade. Die Deiche schützten daher wahrscheinlich weniger das Dorf selbst, sondern vor allem die umliegenden Ackerflächen, die auf historischen Karten in diesem Bereich eindeutig zu erkennen sind. Es stellt in dieser Fallstudie eine besondere Herausforderung dar, die Lage der abgebildeten Dämme und Mäanderbögen in der Rheinstromkarte mit jenen Dämmen und Mäanderbögen abzugleichen und zu korrelieren, welche in jüngeren Karten eingetragen sind und zugleich heute noch im Gelände eindeutig identifiziert werden können.

Mörsch

Mörsch

Dammstrukturen in der Rheinniederung bei Mörsch. a) Digitales Geländemodell (LiDAR-Daten und Gemarkungsplan Daxlanden um 1800 (GLA Karlsruhe H Daxlanden 16, Bild 1). b) Digitales Geländemodell (LiDAR-Daten) und TK 50 Rastatt 2007, Blatt L7114; Projektion: UTM 32N, WGS84.

Die kombinierte Auswertung historischer, geomorphologischer und topographischer Karten sowie der LiDAR-Daten hat weitere Verdachtsstrukturen nahe der Ortschaften Mörsch und Forchheim (Lkr. Karlsruhe) ergeben. Beispielhaft zeigt das Kartenmaterial aus dem 19. Jahrhundert in diesem Gebiet einige klare Deichlinien in der Rheinniederung auf. Diese möglichen Befunde sollen im Verlaufe des Projekts noch mit geoarchäologischen und historischen Methoden untersucht werden. Flur- und Feldnamen datieren eine dieser Deichlinien auf jeden Fall bis in das 16. Jahrhundert zurück. Hierbei ist jedoch ebenfalls zu erwarten, dass die geoärchaologischen Feldarbeiten den Deich älter datieren.

Geographisch liegen die Dörfer am Rande des Hochgestades, deren Geschichte mithilfe von archäologischen und archivalischen Quellen bis in das Frühmittelalter zurückdatiert werden kann. Forchheim wird hierbei sogar als frühmittelalterlicher Hauptort der Gaugrafschaft „Ufgau“ genannt. Es ist anzunehmen, dass die sehr nährstoffreichen Auenböden stets – beobachtbar bis in die heutige Zeit – als Wirtschaftsflächen der anliegenden Ortschaften in der Rheinniederung dienten.

Projektdetails

Projektfilm

Abschlussarbeiten

  • Carsten Zube (Bachelorarbeit im Studiengang Geographie, 2016): Fluviale Dynamik im Bereich des Speyerer Domgartens.
  • Jan Schmitt (Bachelorarbeit im Studiengang Geographie, 2018): Sedimentologisch-geoarchäologische Untersuchungen der Deichlinien nahe Ottersdorf.
  • Deborah Priß (Masterarbeit im Studiengang Geoarchäologie, 2018): Die historischen Deichlinien bei der Goldgrube südlich von Speyer.

Vorträge

  • A.Conijn: An interdisciplinary research on medieval flood protection in the Upper Rhine Valley, Darmstädter Forschungskolloquium zur Umweltgeschichte am 8.5.2018 in Darmstadt.
  • A. Conijn [et al.]: Medieval flood prevention as starting point for contemporary debates on flooding, PECSRL Conference 'European landscapes for quality of life?' vom 3.9.-9.9.2018 in Mende (Frankreich).
  • T. Meier / F. R. Serralvo: Water mentalities. Archaeological clues to changes in water management during the middle ages, EAA 2018 Tagung vom 5.9-8.9.2018 in Barcelona (Spanien).
  • T. Meier / A. Conijn / C. Zube / B. Mächtle: Mittelalterlicher Hochwasserschutz am Oberrhein, Internationale ARKUM Tagung am 19.-22.9.2018 in Kiel 
  • A. Coijn: The relation between man and river dynamics from a flooding perspective in the Upper Rhine valley, Session „Do you see what I see – Theoretical approaches to understand ancient worldviews“, EAA 2017 Tagung am 1.9.2017 in Maastricht (Niederlande).
  • A. Conijn / J. Lange / T. Meier / B. Mächtle: The influence of the river Rhine and its flooding on the medieval landscapes of the Upper Rhine valley, Session Archaelogy of rivers and lakes. When water is the bridge, EAA 2017 Tagung am 1.9.2017 in Maastricht (Niederlande).

Veranstaltungen

  • Workshop Hochwasser, Hochwasserwahrnehmung und Hochwasserschutz am mittelalterlichen Oberrhein in Heidelberg 17.-19. November 2016“; integriert in die Ringvorlesung des Master-Studiengangs Geoarchäologie.
  • Forschungsaufenthalt (A. Conijn) in Amsterdam bei Prof. Petra van Dam und Prof. Hans Renes: Diskussionsrunden, Forschung zu Flusslandschaften, Hochwasser und Deichbau als Historische Perspektive in den Niederlanden. Gegenseitiger Austausch (state of the art) mit der niederländischen Deichbau-Forschung (2017).
  • Interdisziplinäres Hauptseminar Historisches Wassermanagement im Wintersemester 2017/18, das in den Studiengängen Geoarchäologie, Ur- und Frühgeschichte und Geographie sowie im Zusatzangebot Marsilius-Studien eingebracht werden kann (T. Meier, B. Mächtle).
  • Internationaler Workshop: Hochwasser – Wahrnehmungen und Schutz am mittelalterlichen Oberrhein, Heidelberg 28.01. – 31.01.2019 (integriert in die Ringvorlesung Geoarchäologie)

Publikationen

  • A. Conijn, J. Lange, B. Mächtle, T. Meier: Early floods and early dikes. Combining geoarchaeological sources in the Upper Rhine Valley. In: RGZM conference proceedings series, im Druck.
Seitenbearbeiter: Webmaster-Team
Letzte Änderung: 17.04.2019
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