Exkursionen
Große Exkursionen | Mittlere/kleine Exkursionen |
Dr. Michael Handke, Regina Lenz im April 2019
Vom 8. bis 20. April 2019 fand unter der Leitung von Michael Handke und Regina Lenz die Große Exkursion nach Kolumbien statt. Nach 2009 war es bereits die zweite Exkursion von Heidelberg aus in das lateinamerikanische Land. 17 Studierende waren dieses Mal mit von der Partie!
Die Exkursion stand unter dem übergreifenden Thema „Märkte und Umwelt“ und befasste sich damit, wie Marktbeziehungen organisiert werden und zur ökonomischen Inwertsetzung von natürlichen Ressourcen beitragen. Kolumbien ist für ein solches Thema geradezu ideal geeignet. Seine Naturressourcen bilden die Basis für Exportprodukte verschiedenster Art. Ihr stetiger Handel soll die Voraussetzung für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung schaffen. Kann das tatsächlich gelingen? Denn obgleich die kolumbianischen Wirtschaftsstatistiken ein durchaus positives Bild vermitteln, bleibt die Frage, bei wem die Entwicklungen ankommen und ob sie sich auch langfristig als nachhaltig erweisen.
Antworten auf diese Fragen wurden im Laufe der Exkursion am Beispiel der Exportmärkte für tropische Früchte, Kaffee, Schnittblumen, Smaragde, Kohle, Erdöl und touristische Dienstleistungen erarbeitet und diskutiert. Auf der knapp 1.000 km langen Exkursionsroute, die nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Bogotá mit dem Bus nach Villavicencio in die Llanos Orientales, dann weiter über Girardot hinauf in die Kaffeezone der Westkordillere der Anden sowie über Manizales zurück in die Hauptstadt führte, wurden nicht nur unterschiedliche Höhenklimazonen durchquert, sondern auch die kulturelle Vielfalt des Landes erlebt. Natur und Kultur beeinflussen die räumlichen Organisationen der kolumbianischen Märkte. Die dabei zum Tragen kommenden (raum-)ökonomischen Mechanismen sowie die von ihnen ausgehenden räumlich disparitären Konsequenzen wurden für die Exkursionsteilnehmer durch Beobachtungen und Gespräche mit Experten empirisch zugänglich. Die Exkursion endete in der Karibikstadt Cartagena de Indias, wo wie an keinem anderen Ort in Kolumbien sozioökonomische Disparitäten den kapitalistischen Umgang mit Ressourcen auf Märkten prägen.
Zu den Highlights der Exkursion zählten sicherlich:
Ein erster Kulturschock in Bogotá. Dicht gedrängt im so genannten Transmilenio Schnellbus, dem modernen öffentlichen Verkehrsmittel der Hauptstadt, fuhr unsere Gruppe zum ersten Standort des ersten Exkursionstages. Zuvor wurde sie eindringlich vor möglichen Taschendieben gewarnt. Als ein zugestiegener kolumbianischer Fahrgast sogleich begann, auf die Exkursionsteilnehmer einzureden, war Manchem etwas mulmig zumute. Die Stimme des Mannes klang leicht aggressiv. Der Name des amtierenden Bürgermeisters der Hauptstadt Peñalosa fiel und wurde beschimpft. Dann bat der Fahrgast um Geld. Das ist durchaus normal in den Bussen Kolumbiens. Nur wer dem Spanisch des Mannes gefolgt war, konnte erkennen, dass es sich bei ihm nicht um einen einfachen Bettler handelte. Denn durchaus eloquent und geistreich hatte er unsere Exkursion in Kolumbien begrüßt und ein gereimtes Pamphlet vorgetragen, das die sozialen Bedingungen seines Landes anprangerte. Der Mann stellte sich uns als arbeitsloser Sprachwissenschaftler vor. Gesellschaftskritisch ging es auch an vielen anderen Standorten der Exkursion weiter.
Der Besuch der Blumenfarm Flores de Serrezuela in der Sabana de Bogotá, die Rosen und Nelken agrarindustriell züchtet, um sie in die USA sowie nach Europa zu exportieren, nutzt klimatische Standortvorteile und profitiert von niedrigen Lohnkosten sowie einem harten Wettbewerb auf lokalen Arbeitsmärkten. Zudem erfreut sie sich über die Nähe zum internationalen Flughafen El Dorado, von dem aus Linienflüge mit Frachtkapazitäten die Blumen quasi „schnittfrisch“ zu den Exportmärkten transportieren. Im Gespräch vermittelte uns der Geschäftsführer der Blumenfarm Flores de Serrezuela, Ricardo Samper, wie sich die betriebliche Organisation auf einer Blumenfarm perfektionieren lässt, um Gewinne zu erzielen und dabei die Risiken von Nachfrageschwankungen auf den internationalen Absatzmärkten auszugleichen.
Die Rinderfarm von Luis Eduardo Arias, dem langjährigen Vorsitzenden der Rinderzuchtvereinigung der Ganaderos de los Llanos Orientales, auf der uns deutlich gemacht wurde, wie eng Kultur und Märkte im Leben der Kolumbianer miteinander verknüpft sind. Auf dem Rindermarkt von Villavicencio (Markt als Ort) vermischten sich das Gebrüll der zum Verkauf getriebenen Rinder und das zum Teil aggressive Gebaren der Händler, die um jedes Kilo Fleisch feilschten, mit folkloristischen Tanzeinlagen der Llaneros. Auch einzelne Studenten wurden aufgefordert, das Tanzbein zu schwingen. Musik und Tradition halten im Rindermarkt (Markt als soziale Organisation) auch unter harten Wettbewerbsbedingungen soziale Beziehungen zwischen Produzenten und Händlern im Gleichgewicht.
Der Zugang zur Erdölplattform der staatlichen Erdölfirma Ecopetrol in Apiay, der sich uns nur durch enge Kontakte zu dort arbeitenden Ingenieuren eröffnete. Beeindruckend waren hier einerseits die strengen Sicherheitskontrollen, die unsere Exkursionsgruppe über sich ergehen lassen musste, um das Firmengelände betreten zu dürfen. Sie zeugen von der anhaltenden subtilen Präsenz des kolumbianischen Bürgerkriegs in den ressourcenreichen Landesteilen. Der Export von Erdöl bildet für den kolumbianischen Staat die wichtigste Staatseinnahme. Im Zuge der Erschließung neuer Erdölfelder hat er oft überhaupt erst zum ersten Mal Anlass, seine physische und regulative Präsenz in peripheren Landesteilen auszubauen. Erdöleinnahmen bzw. Angriffe auf Erdölinfrastruktur dienen in der Peripherie unterschiedlichen Gruppen als Machtmittel.
Die abenteuerliche Fahrt zur Kaffeefarm „La Granada“ nahe Pijao, wo uns ein regionaltypisches Abendessen erwartete sowie die Geschichte eines verlorengehenden Kulturguts. Die Wertschöpfung bei Kaffee in einem gesättigten Weltmarkt erweist sich für kolumbianische Bauern zunehmend als unwirtschaftlich. Wie uns Jesus Maria Pedraza Roncancio, der Besitzer der Farm, erklärt, wird Kaffee in der Region nicht nur von sinkenden Weltmarktpreisen oder von neuen Nutzpflanzen wie Avocados herausgefordert. Die Kaffeeregion steht vor allem durch einen zunehmend spekulativen Landerwerb im Zusammenhang mit möglicherweise zukünftig ausgesprochenen Genehmigungen zum Abbau von Gold vor einem radikalen Wandel ihres Entwicklungspfades.
Kolumbiens Märkte zeichnen sich durchweg durch rivalisierende Grenzziehungen (Glückler/Berndt 2005) aus, die mitunter extreme sozio-ökonomische Disparitäten hervorbringen. Das ist wohl die Quintessenz, die sich den Studierenden zum Ende der Exkursion ins Gedächtnis prägte. Die Ursachen der Disparitäten liegen dabei aber nicht einseitig in ausbeuterischen Praktiken des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Denn dazu werden die sozialen Beziehungen, die einzelne Märkte in Kolumbien hervorbringen, zu eng und mitunter sehr offenherzig geführt. Vielmehr – so eine Schlussfolgerung der Exkursion – hemmt Korruption als soziale Praxis in „engen“ Beziehungen die Entwicklungen des Landes. Sie reproduziert sich in Kolumbien als persistente Institution.
Derartige Erkenntnisse und ein geschulter Blick auf sozioökonomische Zusammenhänge von Mensch und Umwelt vor Ort waren jedoch nur durch eine gezielte thematische Vorbereitung auf die Exkursion möglich. Deshalb darf der vorbildliche Arbeitseifer der Studierenden im Vorbereitungsseminar nicht unerwähnt bleiben. Akribisch arbeiteten sich die Exkursionsteilnehmer z.B. durch eine Lektüre von Hörtner (2006) in die Wirtschaftsgeschichte Kolumbiens ein, die von heftigen und zum Teil bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Interessengruppen geprägt war und eine gesellschaftliche Spaltung bewirkten und zementierten. Kolumbiens Wirtschaftsakteure haben früh gelernt, wie man Marktzugänge erobert und verteidigt. Aber auch wirtschaftsgeographisch konzeptionelles Handwerkszeug (Bathelt/Glückler 2018), das sich die Studierenden im Vorfeld der Exkursion aneigneten, erwies sich als unabdingbar, um Kolumbiens Märkte und den ökonomischen Umgang mit Umwelt und verorteten natürlichen Ressourcen zu verstehen.
- Bathelt, Harald & Glückler, Johannes (2018): Wirtschaftsgeographie. Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive. Stuttgart: Eugen Ulmer.
- Glückler, Johannes & Berndt, Christian (2005): Globalisierung und die Vielfalt gebrochener Geographie wirtschaftlicher Grenzziehung, in: Berichte zur deutschen Landeskunde, Band 79, Heft 2/3, 305-316.
- Hörtner, Werner (2006): Kolumbien verstehen. Geschichte und Gegenwart eines zerrissenen Landes. Zürich: Rotpunktverlag.
Literatur
Prof. Dr. Johannes Glückler, Regina Lenz im April 2018
Vom 8. bis 21. April 2018 fand die Große Exkursion Nordspanien mit 16 Studierenden unter der Leitung von Johannes Glückler und Regina Lenz statt. Die Exkursion stand unter den übergreifenden Fragestellungen, wie unterschiedliche regionale Ökonomien auf die gravierende Wirtschaftskrise seit 2008 reagieren, welche regionalpolitischen Strategien die Regionen verfolgen und wie sowohl exogene Bedingungen (z.B. europäische Regionalförderung) als auch endogene Dynamiken (z.B. Innovations- und Gründerinitiativen) die spezifischen Entwicklungspfade der nordspanischen Regionen prägen. Der Verlauf der Exkursion durch sieben Regionen (Katalonien, Aragonien, La Rioja, Kastilien und León, Asturien, Kantabrien und spanisches Baskenland) erlaubte es, diese Unterschiede innerhalb der Großregion „Nordspanien“ kennenzulernen und die einzelnen Regionen untereinander zu vergleichen.
So verdeutlichten beispielsweise Vertreter der Handelskammern und Wirtschaftsförderungsgesellschaften in Bilbao (Baskenland), Barcelona (Katalonien) und Zaragoza (Aragonien) die verschiedenen Ziele und Vorgehensweisen ihrer jeweiligen Organisationen im Rahmen der Exportförderung und Anlockung externer Investoren. Auch der Gegensatz zwischen den technologieorientierten Startup-Szenen von Metropolen wie Barcelona und den landwirtschaftlich geprägten Peripherien wie Kastilien-León wurde deutlich. Neben den Besuchen von Automobil- und Logistik-Clustern in Zaragoza, sowie dem Surf Cluster in San Sebastián und der größten Genossenschaft Spaniens (Mondragón Kooperative) widmete sich die Exkursion auch den Themen der Tourismusförderung (z.B. in La Rioja und Kantabrien), Nachfolgen in Familienunternehmen (z.B. im Baskenland), Forschung und Entwicklung im Bereich Lebensmittel und Gastronomie (z.B. im Basque Culinary Center), sowie regionalen Produktionssystemen im Vergleich zwischen Wein (La Rioja) und Sidra (Apfelschaumwein) in Asturien. Durch Besuche bei Unternehmen, Bürgermeistern und Vertretern der Lokalregierungen wurden die unterschiedlichen Blickwinkel, Interessen und Initiativen der einzelnen Akteure zu diesen Themen deutlich.
Ein weiterer thematischer Schwerpunkt lag auf den Möglichkeiten regionaler Entwicklung und Entrepreneurship-Förderung, den Effekten europäischer Kohäsions- und Regionalpolitik und den Folgen des Strukturwandels in ehemals von Schwerindustrie geprägten Regionen wie beispielsweise Asturien. Durch die Besichtigung von Technologieparks in Asturien und dem Baskenland konnten auch hier verschiedene Transformationsstrategien von Orten wie Langreo oder Avilés verdeutlicht und mit lokalen Experten diskutiert werden. Natürlich behandelte die Exkursion an den verschiedensten Stellen auch die Wirtschaftskrise von 2008 und ihre Bedeutung und Effekte. Ein solcher Effekt ist die Entstehung und Ausweitung alternativer Ökonomien, z.B. in Form von Zeitbanken, in denen Mitglieder geldlos gegenseitig Leistungen tauschen und sich organisieren.
Durch die Besuche in sowohl asturischen als auch baskischen Sidrerías und der Teilnahme am spanischen Tapas-Essen konnten die Teilnehmer auch die Kultur Nordspaniens aus erster Hand erfahren – ebenso wie die verschiedensten Städte und Landschaftsräume mit Weinbauregionen, imposanten Gebirgen und der Atlantikküste.
Eine ausführlichere thematische Beschreibung der Exkursion finden Sie auf unserem Exkursions-Blog.
Leitung: Johannes Glückler und Anna Mateja Punstein
Im Mai 2018 besuchte eine Gruppe Heidelberger Studierender das wohl am meisten diskutierte Tal der Welt: das kalifornische Silicon Valley. Die achttägige Exkursion „Silicon Valley, Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit: Hype und Realität“ fand in Kooperation mit Thomas Armbrüster, Professor für Wissensmanagement in Marburg, sowie Studierenden der Wirtschaftswissenschaften der Universität Marburg und der Universität Gießen statt.
Das Silicon Valley befindet sich südlich von San Francisco und erstreckt sich entlang der San Francisco Bay über etwa 100 km über Palo Alto, Mountain View, Cupertino und Santa Clara bis nach San José. Im Tal leben zwar nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung im Vergleich zu Baden-Württemberg, jedoch erzielen die Unternehmen im Silicon Valley mehr als ein doppelt so hohes Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner. Technologie-Giganten wie Google, Facebook, Apple oder Oracle u.v.m. sind dort ansässig und fungieren als Motoren technologischer Innovationen und marktverändernder (oder auch: disruptiver) Geschäftsmodelle. Die Exkursion beschäftigte sich vor allem mit Fragen wie: Was macht die San Francisco Bay Area und insbesondere die dort ansässigen Unternehmen so besonders? Wie innovieren einerseits die Tech-Riesen und wie entwickeln sich kleine Start-Ups? Welche Rolle spielen Netzwerke und welche Konsequenzen ergeben sich für den lokalen Arbeitsmarkt und die Infrastruktur?
Das Programm begann mit einem Besuch der Stanford University, welche als die Talentschmiede der Techindustrie gilt. Gründer verschiedenster Unternehmen begannen dort ihre Karriere und erwarben ihr Know-How, aber vor allem auch ihr Know-Who. Netzwerke und Kontakte, direkte Beziehungen zu Geldgebern, anderen Unternehmen, aber auch intermediären Organisationen sowie zur Universität machten das Silicon Valley in der Vergangenheit und auch noch heutzutage zu einem lokalen, unternehmensübergreifenden Inkubator. Professor Walter Powell, ein international angesehener Organisationsforscher der Stanford Graduate School of Business, referierte über die Wissenstransfers und Cluster in der Biotechnologiebranche Bostons im Vergleich zum Silicon Valley, die er über Jahrzehnte beforscht hat.
Experten großer Firmen wie Intel Inc., Oracle, SAP, Samsung und Mitgründer z.B. von LinkedIn und jüngeren Startups gaben Einblicke in den Arbeitsalltag und neue Trends im Silicon Valley. Maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz sowie deren Möglichkeiten und Grenzen sind die Zukunftsthemen, welche die zentralen Unternehmen, aber auch intermediäre Organisationen und NGOs (z.B. Openai) beschäftigen. Start-Ups, wie z.B. CosyMeal, eine Plattform für Kochkurse, diskutierten mit den Studierenden Strategien und Wege, wie sie ihre Unternehmen marktfähig machten. So auch UpWork, eine online-Plattform, die Selbständige an Kunden vermittelt. Das Unternehmen inmitten von San Francisco nutzt für sein Geschäftsmodell den zunehmenden lokalen Bedarf an Arbeitskräften im Silicon Valley und das entsprechende Überangebot an anderen Orten der Welt.
Weitere wichtige Akteure im Silicon Valley sind die Risikogeldgeber- ob Business Angels oder Venture Capital-Geber. Ein persönlicher Kontakt zwischen Geldgebern und Jungunternehmern gilt als entscheidend, wie Ram Srinivasan, Direktor des Auswahlkomitees des German Accelerator, das deutsche Start-Ups im Life Science und IT-Bereich fördert, betonte. Mit ihm diskutierte die Exkursionsgruppe die Unterschiede zwischen der deutschen und der kalifornischen Innovationskultur.
Jenseits des innovativen Ökosystems von Tech-Giganten, Gründern, Universitäten und Investoren ist die Region aber auch von großen infrastrukturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen betroffen: Hohes Verkehrsaufkommen, lange Staus, ein schwaches Netz öffentlichen Nahverkehrs, steigende soziale Disparitäten in der Region und grassierende Armut in der Stadt San Francisco sowie exorbitante Land- und Immobilienpreise begleiten die Entwicklung der von vielen als aufregendstes Tal der Welt empfundenen Region.
Prof. Dr. Johannes Glückler, Dr. Michael Handke, Cristian Albornoz und Robert Panitz im März 2016
Zwischen dem 07. und 19. März 2016 fand die Große Exkursion Chile
mit 19 Studierenden unter der Leitung von Johannes Glückler, Michael Handke, Cristian Albornoz und Robert Panitz statt. Der Nord-Süd-Ausrichtung des längsten Landes der Welt folgend, verlief die Exkursionsroute der Heidelberger Geographen. Die Exkursion begann in der Hauptstadt Santiago de Chile führte über Rancagua, Constitución, Conceptión und Villarica an den südlichsten Punkt dieser Reise Puerto Montt. Über Temuco, San Antonio und Valparaiso führte der Weg wieder zurück zur Anfangs- und Endstation der Exkursion Santiago. Die Exkursion tangierte neben stadtgeographischen Themen wie Gated Communities, Pobladores oder die Latein-amerikanische Stadt, physisch geographische Elemente, welche mit Risiken für das tägliche Leben und die Ökonomie verbunden sind (Tsunamis, Vulkanausbrüchen oder Wasserknappheiten) vor allem wirtschaftsgeographische Problemstellungen der Regionalentwicklung, des Offshoring, der Ressourcenökonomie und der Governance.
Stadtgeographische Themen wurden vornehmlich in Santiago de Chile zusammen mit Prof. Dr. Johannes Rehner von der Universidad Católica diskutiert. Beginnend mit einem Blick auf eine Gated Community für mittlere Einkommensgruppen und einige staatlich subventionierte Wohnbauten in Quilín einem östlichen Stadtteil Santiagos, ging es in den neuen Central Business District Santiagos rund um das Costanera Center, dem höchsten Gebäude Lateinamerikas. Nach einem Blick auf das historische Zentrum dieser Metropole, dem Plaza de Armas, folgte ein Gespräch mit dem Bürgermeister von Ricoletta, einem ärmeren Stadtteile Santiagos. Die volle Dimension der neun Millionen Metropole Santiago wurde mit dem Blick vom Hügel Cerro San Cristobal deutlich.
Eine Teilnahme an der Absolventenverabschiedung der Masterstudierenden des Studiengangs Master of Governace of Risk and Resources am Heidelberg Centers Latein Amerika (HCLA) in Santiago eröffnete zudem Einblicke in das normale chilenische Studentenleben. Die Bedeutung natürlicher Ressourcen für die chilenische Wirtschaft wurde an zahlreichen Stellen der Exkursion sichtbar. Die große Bedeutung des Kupferabbaus vor allem für den chilenischen Export wurde bei einem Besuch in der größten Kupfermine der Welt „El Teniente“ bei Rancagua verdeutlicht. Auf über 2.000 Meter Höhe gelegen ist die Mine ein wichtiger nationaler und regionaler Wirtschaftsfaktor. Ausgerüstet mit Bergmannsausrüstung ging es unter Tage, um die einzelnen Abbau- und Verarbeitungsschritte nachzuvollziehen. Der anschließende Besuch des UNESCO-Weltkulturerbes Sewel, einer aufgegebenen Arbeitersiedlung in direkter Nachbarschaft zur Mine aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, bezeugt den in Kauf genommenen Aufwand, um einen reibungslosen Kupferabbau zu ermöglichen. Interessanterweise sind die Versuche einer Verringerung der Abhängigkeit vom Kupfer häufig durch die Förderung anderer ressourcenabhängiger Wirtschaftszweige geprägt. Der Aufbau einer exportorientierten Lachsindustrie rund um Puerto Montt, Wein- und Obstanbau an zahlriechen Standorten sowie die Holzwirtschaft stehen repräsentativ für diese Entwicklung.
Zu den Problemen einer stark ressourcenorientierten Wirtschaft, der Tendenz zur Ressourcenübernutzung und ungleichverteilter Wohlfahrtseffekte, kommen natürliche Risikofaktoren des Klimas (El Niño), der Geologie (Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis) und der Biologie (z.B. das ISA-Virus in der Lachsindustrie) hinzu. Der Besuch der durch einen Tsunami zerstörten Stadt Constitución, das Erklimmen des Vulkans Villarica und Gespräche mit Vertretern der Lachsindustrie verdeutlichten diese Risiken. Gleichzeitig bezeugten die Existenz und das Fehlen von Anpassungsstrategien die Notwendigkeit passender Governance-Mechanismen und Institutionen um diesen Problemen und Risiken zu begegnen.
Gespräche mit der staatlichen Regionalentwicklungsagentur Corfo, der zentralen Wirtschafts- und Entwicklungseinheit der Vereinten Nationen für Lateinamerika CEPAL und mit Vertretern des Entrepreneurship-Programms Start-Up Chile eröffneten zudem Einblicke in staatliche Entwicklungsimpulse und die wirtschaftliche Dynamik Chiles. In Interviews mit Unternehmern konnten qualitative Eindrücke zur Innovativität und der Dynamik der chilenischen Wirtschaft gewonnen werden. Insgesamt bot die Exkursion einen kleinen Einblick in ein faszinierendes Land, welches sowohl landschaftlich als auch sozial wissenschaftlich abwechslungsreich, wie spannend ist.
Prof. Dr. Johannes Glückler, Dipl.-Geogr. Robert Panitz im März 2014
Zwischen dem 17. und 29. März 2014 fand die „Große Exkursion Polen“ mit 16 Studierenden unter der Leitung von Prof. Dr. Johannes Glückler und Dipl.-Geogr. Robert Panitz statt. Die Exkursionsroute verlief in der ersten Woche von Nord nach Süd (Danzig, Warschau und Krakau) und in der zweiten Exkursionswoche von Ost nach West (Krakau, Kattowitz, Kolonowskie, Dobrozien und Breslau). Während der Exkursion wurde versucht, mittels von Expertengesprächen und Unternehmensbesichtigungen ein Gefühl für die Wirtschaftsgeographie Polens zu entwickeln. Die wirtschaftsgeographischen Aspekte lassen sich in die Themenbereiche der Ressourcenökonomie, Industrie, Dienstleistungen und Regulation einordnen. Darüber hinaus wurde das polnische Alltagsleben durch persönliche Erfahrungen erforscht.
Ressourcenökonomie
Als Fallbeispiele zur Ressourcenökonomie Polens dienten Gespräche mit Landwirten in Schlesien, mit Vertretern der Bernsteinindustrie in Danzig, die Besichtigung des Kohlebergwerks Wiezorek
in Kattowitz (Abbildung 1) und ein Treffen mit Dr. Krzysztofik der Schlesischen Universität in Sonsnowiec.
In allen vier Gesprächen wurden die Transformation und Globalisierung und die damit einhergehende veränderte politische und wirtschaftliche Einbettung Polens als treibende Kraft deutlich. Während in der Landwirtschaft die Bedeutung von EU-Regularien als eine Ausprägung dieser Entwicklung diskutiert wurde, waren für die Bernsteinindustrie die internationale Konkurrenz und neue Märkte in Asien wichtige Themen. Im Kohlebergwerk wurde das Thema der Transformation in der Metamorphose eines einst staatlichen Bergwerks hin zu einem marktwirtschaftlichen Betrieb diskutiert, während Dr. Krzysztofik die Auswirkung des Niedergangs der Kohlezechen für die Stadtentwicklung von Sosnomiec (bei Kattowitz) illustrierte.
Industrie
Industriegeographische Aspekte wurden an den Beispielen einer Schiffswerft, metallverarbeitenden Betrieben, Möbelherstellern und Technologieunternehmen erörtert. Hierbei spielten die Prozesse der Innovation, Businessmigration und Exportaktivitäten eine wichtige Rolle.
So stand die besuchte Schiffswerft in Gdynia exemplarisch für den Niedergang des Europäischen Schiffbaus und der Businessmigration hin zur Produktion von Elementen für Offshore Windkraftanlagen innerhalb einer europaweiten Wertschöpfungskette. Das Beispiel des Möbelclusters in Dobrozien illustrierte, wie in einem peripheren Cluster mit Hilfe der Organisation temporärer Nähe zu urban lokalisierten Designern, innovative Produkte entwickelt werden können.
Dienstleistungen
Die Geographie der Dienstleistungen in Polen wurde durch eine Hafengesellschaft, Fotoagenturen, Immobilienentwickler, die Warschauer Börse und Softwareentwickler repräsentiert.
Hierbei wurde unter anderen die Internationale Anbindung als Wachstumsmotor für die Dienstleistungsindustrie thematisiert. So ist die Funktion des Danziger Hafens einzig in einem Europäischen Verbund aus verschiedenen Infrastruktureinrichtungen zu verstehen. Die Warschauer Börse, ein Softwareunternehmen und die Fotoagenturen waren in ihrer Entwicklung wiederum durch ausländische Direktinvestitionen und dem Handel von Dienstleistungen getrieben. Ein Warschauer Immobilienentwickler (Abbildung 3) zeichnete einen indirekten positiven Effekt dieser ausländischen Direktinvestition in Bezug auf eine steigende wirtschaftliche Bedeutung Warschaus und dem damit verbundenen steigenden Mieten, Boden- und Wohnungspreisen.
Regulation
Um die regulatorischen Verhältnisse in Polen begreifen zu können, wurden Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium in Warschau (Abbildung 4), Prof. Dr. Sagan von der Universität Danzig, den Sonderwirtschaftszonen in Gdynia und Kattowitz, dem Warschauer Stadtplanungsamt, den regionalen Wirtschaftsförderungen in Danzig und Breslau, dem Bürgermeister der Gemeinde Kolonowskie sowie dem Technologiepark in Breslau geführt.
Hierbei entstand das Bild einer vergleichsweise zentralistischen staatlichen Regulation, welche mit den Instrumentarien der Ausweisung von Gewerbeflächen, der Einrichtungen von Inkubatoren und Sonderwirtschaftszonen die Wirtschaftsgeographie Polens stark beeinflusst. Die Wirkung dieser Instrumentarien im Hinblick auf eine Verringerung von regionalen Disparitäten lässt sich hierbei jedoch bezweifeln.
Das Leben in Polen
Das polnische Alltagsleben wurde durch die Teilnehmer meist abends oder in der Nacht sowie während des freien Exkursionstages außerhalb von fixen Terminen erforscht. Hierbei sei das vergleichsweise günstige, aber leckere kulinarische Angebot der polnischen Küche erwähnt. Pierogy, Bigos und Klöße dienten nicht selten als elementare Energielieferanten bei der Besichtigung der geographisch attraktiven Orte: Danzig, Warschau, Krakau, Kattowitz, Kolonowskie und Breslau. Jeder Ort hatte hierbei sein eigenes Flair: Das historische Krakau stand dem pulsierenden modernen Warschau entgegen, die maritime Bernsteinstadt Danzig dem wandlungsvollen wachsenden Breslau und das ländlich-grüne Kolonowskie der urbanen Schwerindustriestadt Kattowitz.
So unterschiedlich die Orte auch sind, so verbindend erschienen ihre Historie ständiger Neunanfänge und Brüche sowie die Gastfreundschaft der dort lebenden Bevölkerung.
Prof. Dr. Johannes Glückler, Dr. Michael Handke im März 2012
Governance von Ressourcen und Risiken in Chile
Seit das Geographische Institut der Uni Heidelberg am Heidelbergcenter für Lateinamerika in Santiago de Chile den berufsbegleitenden Masterstudiengang Governance of Risks and Resources
anbietet, sind unsere Geographiestudenten immer häufiger im Land der 15 Klimazonen anzutreffen. Im März und April 2012 z.B. waren Herr Glückler und Herr Handke zur Lehre im neuen Master in Santiago angetreten. Dass sie jedoch auch noch von 18 Heidelberger Geographiestudenten begleitet wurden, hatte damit zu tun, dass diese sich für einer Großen Exkursion nach Chile angemeldet hatten, um Land und Leute und vor allem die Besonderheiten des wirtschaftlichen Lebens in Chiles kennen und verstehen zu lernen.
Zufall oder auch nicht, Herr Glückler und Herr Handke erhoben den wirtschaftlichen Umgang mit Risiken und Ressourcen zum zentralen Schwerpunkt der Exkursion. Diese Wahl hing sicherlich damit zusammen, dass beide Dozenten eingefleischte Wirtschaftsgeographen sind. Sie hat aber auch damit zu tun, dass sich Chiles neoliberal geprägte Wirtschaft und Gesellschaft als Untersuchungsobjekt für diese Thematik geradezu idealtypisch anbietet: Nicht nur beim Kupferbergbau, der das Wachstum und die Exporte Chiles bestimmt und mit einer ganz eigenen riskanten Beziehung zur Ressource Wasser einhergeht, präsentiert sich das Thema zum Anfassen
. Auch die chilenischen Erfahrungen mit Erdbeben und der Umgang der Gesellschaft mit Tsunami-Katastrophen offenbaren zum Teil sehr heterogene Wahrnehmungen und Regulierungen von Risiken und Ressourcen. Beide Beispiele werden im Folgenden näher beschrieben.
Klimawandel, Wasserverfügbarkeit und ökonomisches Risiko
Der weltweite Klimawandel geht mit einer Zunahme extremer Klimaereignisse wie Überschwemmungen oder Dürren einher. Die davon ausgehenden Risiken sind regional unterschiedlich verteilt. In Chile z.B. führen steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsregime (insbesondere ausbleibender Schneefall) mittelfristig zu einem Abschmelzen der Gletscher und damit zu einer nachhaltigen Zerstörung einer wesentlichen Wasserquelle des Landes. Ansteigende Pegel von Schmelzbäche erfordern sowohl wasserbauliche Schutzmaßnahmen in den Mittel- und Unterläufen der Flüsse als auch Lernprozesse und Anpassungshandlungen bei den betroffenen Landwirten und Bewohnern. Die Herausforderungen des Klimawandels gilt es durch die Partizipation verschiedener Anspruchsgruppen im Sinne einer Governance zu koordinieren und zu moderieren. Das wahrgenommene temporäre ,Überangebot' an Wasser darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Chile Wasser vielerorts ein knappes Gut darstellt – insbesondere nördlich von Santiago in den ariden Teilen des Landes. Und obgleich in Chile Rechte an der Ressource Wasser seit den 1980er Jahren institutionell gesichert sind und ein liberales Marktmodell begründen, das mit dem Handel der Rechte eine effiziente Allokation der Ressource Wasser anstrebt, herrschen Nutzungskonflikte vor, die mitunter zu sozialen Spannungen führen. Wasser besitzt in Chile zwar einen Marktpreis, der sich nach der Nachfrage richtet, oder daran, wie viele Wasserrechte im Umlauf sind. Damit einhergehend schaffen Preisveränderungen Anreize, Wasser gezielt sparsam zu nutzen oder in moderne Technologien zu investieren. Technologischer Fortschritt wiederum erlaubt eine Intensivierung der Bewässerungslandwirtschaft.
Doch auf Wassermärkten treffen unterschiedlich mächtige Akteure aufeinander. Gerade hierbei zeigt sich, wie unregulierte Wassermärkte zu einer Homogenisierung der Wassernutzung führen, das heißt zu einer Auflösung der Vielfalt des ökonomischen Einsatzes von Wasser. Landwirte, die z.B. Avocados oder Trauben für Exportmärkte anbauen und dort relativ hohe Gewinne erzielen, verdrängen bei steigenden Wasserpreisen Landwirte, die Gemüse für den heimischen Markt oder in Subsistenzwirtschaft anbauen. Der dadurch zunehmende Druck zur Migration in die Städte steigert dort ebenfalls die Probleme eines verknappten und verteuerten Wassers. Doch auch Agrarexportbetriebe sind dem Druck des Marktes ausgesetzt. Sie werden ihrerseits von der Minenwirtschaft verdrängt, die mit dem Export von Kupfererzen insgesamt die höchsten Gewinne und Devisen erwirtschaftet und zusätzlich einen privilegierten Stellenwert in Chiles Wirtschaftspolitik genießt. Die Minenwirtschaft ist bei der Exploitation von Kupfer auf große Mengen an Wasser angewiesen, das aufgrund von Verschmutzungen anschließend nicht mehr für andere Nutzungen zur Verfügung steht. Die bevorzugte Stellung der Minenwirtschaft zeigt sich einerseits bei der Vergabe von Konzessionen, die auch unbeschränkte Zugangsrechte zur Erschließung des Grundwassers beinhalten. Andererseits wird das von ihr verschmutzte Wasser immer noch als negativer externer Effekt an die Gesellschaft abgegeben.
Tsunami, Katastrophenbewältigung und ökonomischer Wiederaufbau
Die chilenische Gesellschaft ist nicht nur dem Klimawandel ausgesetzt, sondern auch Naturgefahren wie Erdbeben, Tsunami oder Vulkanausbrüchen. Leicht könnte man daher zu dem Schluss kommen, die chilenische Gesellschaft sei erfahren im Umgang mit Naturrisiken. Das Beispiel des jüngsten großen Erdbebens in Chile vermittelt indes ein anderes Bild. Die Stadt Constitución in der Region Maule zählt sicherlich zu den am schwersten betroffenen Gebieten. Neben dem Erdbeben rollten auch noch die Wassermassen eines meterhohen Tsunamis über Teile der Stadt hinweg. Im Jahr 1960 wurde Constitución schon einmal von einem Tsunami zerstört und anschließend an selber Stelle ohne besondere Schutzmaßnehmen wieder aufgebaut. Doch wie kann eine Küstenstadt wie Constitutión überhaupt auf externe Naturereignisse wie einen Tsunami oder ein Erdbeben reagieren? Geographische Risikoforscher setzten zunächst daran an, die Verwundbarkeit der Bevölkerung, einer Stadt oder einer Region zu bewerten. Mit dem Konzept der Vulnerabilität analysieren sie dabei nicht einseitig die baulichen Schadenspotenziale einer Naturkatastrophe, sondern insbesondere auch die mit Naturrisiken einhergehenden sozialen Krisen der Gesellschaft in einer Region. Plünderungen, Raub und Gesetzlosigkeit der Bevölkerung, was sich auch als verlorenes Vertrauen in die Ordnungskraft des Staates interpretieren lässt, werden in den Analysen dabei ebenso erfasst und prognostiziert wie z.B. die Folgen von Trinkwassermangel (gesundheitliche Risiken) oder durch Salzwasser zerstörte landwirtschaftliche Kapazitäten. In Constitución war nach der Zerstörung durch die Natur beinah das komplette Kommunikationssystem zusammengebrochen, was das Management und die Katastrophenhilfe zusätzlich behinderte. Auch noch 2012, im Jahr der Heidelberger Exkursion, waren das Gesicht der Stadt – und bei genauem Hinsehen und Hinhören auch die Gesichter und die Geschichten der zurückgekehrten Bevölkerung – noch immer von den Zerstörungen und Verlusten gekennzeichnet. Fast automatisch drängte sich den Exkursionsteilnehmern als außenstehenden Beobachtern des Phänomens Constitución die Frage auf, warum sich die Bevölkerung nach einer solchen Katastrophen erneut den Naturgefahren aussetzt und alte Flächen wie gehabt wieder besiedelt? Auch Antworten auf diese Frage wurden beim Durchqueren der Stadt schnell gefunden. Die Bewohner kehren auf ihr Eigentum an Grund und Boden zurück – insbesondere, wenn sie an Ort und Stelle wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen können. Das Beispiel des Fischers, der in seiner wiedererrichteten, aber nichtsdestotrotz baufälligen Hütte am Flusshafen saß und den Teilnehmern der Exkursion eine Bootsfahrt anbot, macht dies sehr schön deutlich. Ein anderes Beispiel ist sicherlich die Firma Arauco, ein Holzkonzern, der in Constitución ein Sägewerk sowie eine Papierfabrik betreibt. Da beide Anlagen von den Naturgewalten verschont geblieben waren, konnten sie den Betrieb rasch wieder aufnehmen und Teilen der Bevölkerung einen sicheren Arbeitsplatz und Einkünfte bieten. Zudem war Arauco schneller als der chilenische Staat mit materiellen und finanziellen Ressourcen in der Region am Wiederaufbau beteiligt. Holz, das im Falle eines Erdbebens eine größere Elastizität und Bruchfestigkeit besitzt als Stein, wurde denn auch zum bevorzugten Baumaterial des Wiederaufbaus.
Diese beiden Beispiele waren freilich nur zwei der auf der Exkursion behandelten und besuchten
fallspezifischen Themen. Mit einer durch Gated Communities vorangetriebenen Stadtexpansion in Santiago de Chile, der Landdegradierung durch die küstennahe Schwerindustrie, einer genossenschaftlich und arbeitsteilig organisierten Agrarexportindustrie oder der staatlichen Innovationsförderung hielt Chile noch viele weitere Beispiele für die Governance von Risiken und Ressourcen parat.
Prof. Dr. Johannes Glückler, Dr. Michael Handke im Februar 2010
Im Februar 2010 reisten 18 Heidelberger Geographiestudenten zusammen mit Prof. Johannes Glückler und Dr. Michael Handke nach Kolumbien. Alexander von Humboldt hatte es ihnen im Jahr 1801 vorgemacht. Während jedoch von Humboldt vor allem die eindrucksvolle Natur und Topographie Kolumbiens erforschte und anschließend für die nach exotischen Berichten aus der Ferne durstenden Europäer in Büchern und Vorträgen medienwirksam in Szene setzte, standen auf dem zweiwöchigen Exkursionsprogramm der Heidelberger Geographen vor allem wirtschafts- und sozialgeographische Themen sowie Phänomene wirtschaftlicher Interaktion: Neugierig war man beispielsweise darauf, welchen Weg Kolumbiens Wirtschaft in der Globalisierung ginge, wie dieser Weg durch politische Maßnahmen flankiert werde und welche sozioökonomischen Entwicklungen dabei die kolumbianische Gesellschaft prägten.
Von oben nach unten: Küsten- und Hochgebirgslandschaften in Kolumbien, Gruppenfoto im Nebelwald von Soldadezca; Abenteuer auf steilen Pfaden, in Hängematten oder bei der Überwindung von Distanz mit engen Bussen; Firmenbesuche auf einer Blumenfarm, bei einem Schuhhersteller und in den Werkshallen von Siemens Colombia; Verkehrswege damals und heute: Steinpfade der Tairona-Indianer, das Bussystem des Transmilenio; neue Fußgängerzone in Bogota; Straßenhändler in Cartagena de las Indias