Universitätssiegel
Leitung: Prof. Dr. Peter Meusburger
Bearbeiter: Dr. Heike Jöns
Laufzeit: 01.04.2002-31.03.2004
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG-Projekt ME807/18-1)
 

Forschungsprojekt

Entwicklungen und Auswirkungen internationaler Wissenschaftsbeziehungen durch Humboldt-Stipendiaten in Deutschland, 1953-2002

Projektbeschreibung

Akademische Mobilität, wissenschaftliche Netzwerke ins Ausland und die Attraktivität der deutschen Hochschulen für ausländische Wissenschaftler und Studierende sind Themen hoher wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Aktualität. Im Rahmen dieses Projekts werden Entstehungskontexte, Verläufe und Auswirkungen staatlich geförderter Deutschlandaufenthalte ausländischer Gastwissenschaftler/-innen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht. Grenzüberschreitende Interaktion in den Wissenschaften, so die forschungsleitende These, kommt dabei keineswegs einer oft vermuteten, inhärenten Internationalität der Wissenschaften entgegen, sondern schafft diese erst. Darüber hinaus reflektiert und beeinflußt sie neben wissenschaftlichen auch andere gesellschaftliche Strukturen und Prozesse im Herkunfts- wie im Zielland.

Im Mittelpunkt der empirischen Analysen steht das Forschungsstipendienprogramm der Alexander von Humboldt-Stiftung (AVH) als das zahlenmäßig bedeutendste Förderprogramm für langfristige Forschungsaufenthalte ausländischer Wissenschaftler an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Aus historisch-geographischer Perspektive werden fachliche, kulturelle, institutionelle und soziale Zusammenhänge der Aufenthalte analysiert und anhand von Fallbeispielen in ihren Auswirkungen rekonstruiert. Grundlage der empirischen Auswertungen sind Daten zur laufenden Programmbeobachtung der AvH, eine postalische Befragung von 3.500 Humboldt-Stipendiaten und 2.000 Humboldt-Gastgebern sowie 100 leitfadenorientierte verstehende Interviews mit ausgewählten Stipendiaten und Gastgebern.

Die theoretisch-methodische Ausrichtung des Projekts orientiert sich an jüngeren Entwicklungen in der interdisziplinären Wissenschaftsforschung (science studies) und bezieht Konzepte des Antragstellers zur räumlichen Konzentration von Wissen, zum Zusammenhang zwischen Wissen und Macht und zur Symbolik von Standorten ein. Von der Interpretation der Ergebnisse sind wichtige, interdisziplinär relevante wissenschaftstheoretische und wissenschaftspolitische Aussagen zu internationaler Integration, Kooperation und Netzwerkbildung, internationalem Wissenstransfer und kulturellem Austausch zu erwarten, die weit über die Dimension der wissenschaftlichen Akteure und Praktiken hinausweisen.

Karte zur Herkunft der Humboldt-Stipendiaten, 1953-2001.

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Empirische Erhebungen

Im Rahmen des DFG-Projekts wurden zwei umfangreiche schriftliche Erhebungen unter ehemaligen Humboldt-Gastwissenschaftlern und ihren wissenschaftlichen Gastgebern der Jahre 1953 bis 2001 durchgeführt.

Die versendeten Fragebögen thematisieren die Erfahrungen und Bedürfnisse von Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachgebiete und unterschiedlichen kulturellen Kontexten im Rahmen fachlich motivierter internationaler Mobilität und Kooperation. Die Befragungen sollen zudem helfen, mehr Transparenz in das internationale Interesse am Forschungsstandort Deutschland, die Erfahrungen ausländischer Gastwissenschaftler während der vergangenen 50 Jahreund die langfristigen Auswirkungen der Humboldt-Aufenthalte zu bringen.

Im einem ersten Schritt wurden Fragebögen an 3.718 Humboldt-Stipendiaten verschickt, die per Zufall aus allen Stipendiaten der Jahre 1953 bis 2001 ausgewählt wurden. Die Gesamtheit der Humboldt-Stipendiaten im Zeitraum 1953 bis 2001 betrug etwa 17.200 Personen; davon stehen heute noch rund 90% in Kontakt mit der Humboldt-Stiftung. Jeder vierte der erreichbaren Stipendiaten hat einen Fragebogen erhalten. Dies ist rund jeder fünfte von allen Stipendiaten der Jahre 1953 bis 2001. Die Rücklaufquote erreichte nach der Versendung einer Erinnerung 51% (1.893 auswertbare Fragebögen), so dass die Antworten von jedem neunten jemals nach Deutschland gekommen Humboldt-Stipendiaten bzw. jedem achten der noch erreichbaren Humboldt-Stipendiaten analysiert werden können.

Das versendete Anschreiben und der zwölfseitige Fragebogen waren zweisprachig, in Deutsch (Vorderseite) und Englisch (Rückseite), verfasst. Der Versand der Fragebögen wurde aus Gründen des Datenschutzes in der Humboldt-Stiftung durchgeführt, während sich der Rücklauf auf Grundlage eines adressierten Rückumschlags an das Geographische Institut in Heidelberg richtete, wo die Daten anhand einer anonymen Kennziffer erhoben und ausgewertet werden.In einem zweiten Schritt wurden 2.567 ehemalige Humboldt-Gastgeber befragt. Dies ist jeder vierte von rund 10.400 Humboldt-Gastgebern der Jahre 1953 bis 2001 und jeder dritte der noch erreichbaren Gastgeber. Der Versand des deutschsprachigen, dreizehnseitigen Fragebogens wurde analog zu der Stipendiatenbefragung organisiert. Der Rücklauf erreichte 41%, so dass Antworten zu jedem zehnten Humboldt-Gastgeber der vergangenen 50 Jahre und jedem achten der noch erreichbaren Humboldt-Gastgeber ausgewertet werden können.

Informationen zur Alexander-von-Humboldt-Stiftung

Die Stiftung
Die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) gehört zu den großen Mittlerorganisationen deutscher auswärtiger Kulturpolitik. Sie widmet sich der Förderung internationaler Wissenschaftsbeziehungen und knüpft damit an ihre Vorgängerinstitutionen an, deren Ursprünge auf eine erste Gründung in Berlin im Jahr 1860 zurückgehen. Nach den Zäsuren der Inflationszeit (1923-25) und dem Zusammenbruch des Dritten Reichs (1945) wurde die AvH auf Initiative ehemaliger Humboldt-Gastwissenschaftler am 10. Dezember 1953 durch die Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Bonn wiedererrichtet (1961 erfolgte die Verlegung des Stiftungssitzes nach Bad Godesberg).
In Anlehnung an die zweite Humboldt-Stiftung, die zwischen 1925 und 1945 in Berlin tätig war, erfüllt die AvH ihren kulturpolitischen Auftrag mit der gezielten Förderung von Forschungsaufenthalten ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland. Der wichtigste Grundsatz der Stiftungsphilosophie ist die weltweite Förderung wissenschaftlicher Eliten ohne Länder- und Fächerquoten. Hinzu kommt eine langfristige und individuelle Förderung bei großer Flexibilität, Autonomie und politischer Neutralität. Diese Offenheit der Förderpolitik macht die Humboldt-Stiftung durch ihre Antrags- und Bewilligungszahlen, durch neue Programme und Förderrichtlinien zu einem Seismograph für weltpolitische und wissenschaftliche Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Als selbständige, nicht-staatliche, aber staatlich unterstützte Einrichtung erhält die Humboldt-Stiftung ihre Zuwendungen zur Ausführung der satzungsgemäßen Aufgaben zu 90% aus dem Bundeshaushalt, und zwar vom Auswärtigen Amt (AA), vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Weitere Mittel stammen aus privaten Zuwendungen und aus zweckgebundenen Länderzuweisungen.

50 Jahre Förderung
Die Hauptaufgabe der Humboldt-Stiftung liegt satzungsgemäß darin, wissenschaftlich hoch qualifizierten Akademikern aus dem Ausland unabhängig von nationaler Zugehörigkeit, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung Forschungsstipendien und Forschungspreise zu gewähren, um ihnen die Durchführung eines Forschungsvorhabens in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Die Auswahl der Stipendiaten und Preisträger wird von fachlich spezialisierten Auswahlausschüssen vorgenommen, die mehrmals im Jahr zusammenkommen. Einziges Auswahlkriterium ist die wissenschaftliche Qualität der potentiellen Gastforscher. In Anerkennung einer starken Segmentierung der internationalen Wissenschaftswelt durch ungleiche wirtschaftliche und soziale Bedingungen wird diesem Prinzip der Besten das Prinzip der Besten eines Landes bei der Auswahl zur Seite gestellt.
Mit ihren Kernprogrammen förderte die AvH zwischen 1953 und 2002 über 22.000 ausländische Wissenschaftler/innen aller Fachrichtungen aus mehr als 130 Ländern in Deutschland. Davon kamen rund 80% mit den seit 1954 vergebenen Humboldt-Forschungsstipendien für promovierte Nachwuchswissenschaftler. 20% der Geförderten entfielen auf das im Jahr 1972 eingerichtete Preisträgerprogramm für international renommierte Wissenschaftler. Darüber hinaus verwaltet die Humboldt-Stiftung im Auftrag verschiedener Geldgeber etwa zehn weitere Forschungsstipendienprogramme für spezifische Zielgruppen. In deren Rahmen können jährlich rund 400 weitere ausländische Wissenschaftler in Deutschland gefördert werden. Verschiedene Nachkontaktprogramme ermöglichen den Geförderten, die sich ergebenden wissenschaftlichen Verbindungen langfristig zu erhalten. So war bis Ende 2002 rund ein Drittel der Forschungsstipendiaten mit einer Wiederaufnahme oder einer Wiedereinladung der Humboldt-Stiftung zu mindestens einem weiteren, bis zu drei Monate langen Forschungsaufenthalt in Deutschland zu Gast. Zudem verbrachten zwischen 1979 und 2002 rund 2.500 junge deutsche Post-Doktoranden als Feodor-Lynen-Stipendiaten ein bis maximal vier Forschungsjahre bei ehemaligen Humboldt-Gastwissenschaftlern in mehr als 60 verschiedenen Ländern der Welt.

Humboldt-Stipendien
Das Humboldt-Stipendienprogramm wurde im Dezember 1953 ausgeschrieben. Bis Anfang der 1970er Jahre konzentrierte sich die Tätigkeit der Humboldt-Stiftung primär auf dieses Programm. Humboldt-Stipendien ermöglichen hochqualifizierten ausländischen Nachwuchswissenschaftlern im Alter bis zu 40 Jahren, ein selbstgewähltes Forschungsvorhaben an einer Forschungseinrichtung in der Bundesrepublik durchzuführen. Deshalb ist die Förderung langfristig und umfaßt mindestens sechs, aber auch mit einer Verlängerung in der Regel nicht mehr als 24 Monate. Die Altersgrenze wurde im Laufe der Zeit sukzessive angehoben (1954-62: 30 Jahre; 1962-73: 38 Jahre; seit 1973: 40 Jahre). Seit Anfang der 1970er Jahre ist die Promotion Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung.
In den ersten 50 Jahren gab es über 50.000 Bewerber. Von diesen wurden rund 20.000 aus mehr als 130 Ländern mit Humboldt-Stipendien in Deutschland gefördert. In den 1990er Jahren wurden jährlich rund 500 neue Humboldt-Forschungsstipendien vergeben; etwa 1.500 Stipendiaten hielten sich pro Jahr in Deutschland auf. Damit handelt es sich um das zahlenmäßig bedeutendste Förderprogramm für langfristige Forschungsaufenthalte ausländischer Wissenschaftler an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Aufgrund der Möglichkeit einer eigenständigen Bewerbung und einer Auswahl ohne Länder- und Fächerquoten geben die Antrags- und Bewilligungszahlen im Humboldt-Stipendienprogramm Auskunft über das internationale wissenschaftliche Interesse an Deutschland. Die kontinuierliche Zunahme von Bewerbungen und Herkunftsländern in den ersten vier Förderdekaden (1954-63, 1964-73, 1974-83, 1984-93) weist auf die Entwicklung einer zunehmend offeneren Gesellschaft im Sinne Dahrendorfs und auf eine allmähliche Reintegration Deutschlands in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hin. Beides wurde durch die persönlichen Deutschlandkontakte der mit wachsenden Mittelzuwendungen an die Humboldt-Stiftung ebenfalls gestiegenen Zahl von Stipendiaten verstärkt. Die regionalen Förderzahlen der Humboldt-Stiftung erlauben Rückschlüsse auf bedeutende weltpolitische Ereignisse, sich wandelnde politische und wirtschaftliche Gegebenheiten in den Herkunftsländern (z.B. Ausreisemöglichkeiten) und damit verbundene Veränderungen in den Beziehungen zur Bundesrepublik.

Seitenbearbeiter: Webmaster-Team
Letzte Änderung: 10.08.2019
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