Dr. Julia Poerting Brücken bauen zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Umwelt
Von Niclas Kränzke und Lars Schätzle
„Eine Karriere der Wissenschaft, aber eben auch mit anderen Stationen" – mit diesen Worten beschreibt Dr. Julia Poerting im Rahmen des Alumni-Workshop im Juli 2025 zur „Geographie in verschiedenen Berufsfeldern“, treffend ihren eigenen, facettenreichen Werdegang als Wissenschaftlerin.
Das Geographische Institut der Universität Heidelberg begrüßt die Sozialwissenschaftlerin seit April 2025 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Transient Spaces and Societies". Ihr Werdegang ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sich aus vielfältigen Interessen und auch Umwegen eine klare wissenschaftliche Vision formen kann.
Ihr Werdegang: Ein Plädoyer für nicht-lineare Wege
Die Grundlage für ihre interdisziplinäre Arbeit legte Dr. Poerting bereits im Studium der Geographie, Politikwissenschaft und Ethnologie in Heidelberg und an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi, das sie von 2005 bis 2012 auf Magister absolvierte. Ursprünglich vom Wunsch angetrieben, Dokumentarfilmerin zu werden, fand sie in der Geographie das Feld, das ihre Interessen an Mensch-Umwelt-Beziehungen bündelte. Ihre Auseinandersetzung mit Südasien begann bereits während dem Studium. Später engagierte sie sich als Mitglied und Mitherausgeberin im Arbeitskreis Südasien der Deutschen Gesellschaft für Geographie (2014-2019) und als Herausgeberin der Schriftenreihe „Geographien Südasiens" fort.
Nach dem Studium sammelte sie zunächst prägende praktische Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit für die GIZ in Pakistan und Laos. Diese Zeit war ein Wendepunkt: Die dort erlebten „Top-Down"-Ansätze bestärkten ihren Wunsch, in die Wissenschaft zurückzukehren, um sich kritischer mit den Themen auseinandersetzen zu können. Ihre Promotion über Biolandwirtschaft in Pakistan schloss sie am Heidelberger Exzellenzcluster „Asien und Europa" ab.
Anschließend führte ihr Weg sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Universität Bonn, wo sie ein Projekt zur Rückkehr der Wölfe in Norddeutschland leitete – eine andere Form von Mensch-Umwelt-Konflikten. Dieses Projekt sowie ihre Mitarbeit im Projekt „Digital Ecologies", führte sie verstärkt in den Bereich der digitalen Geographie. Bedingt durch die Corona-Pandemie, stellte sie ihre Forschungsmethoden um und widmete sich der Analyse von Kamerafallen-Bildern mithilfe von KI-Plattformen. Ihre Forschung zeichnet sich auch durch methodische Kreativität aus: Um die Herausforderungen der Feldforschung in der Lüneburger Heide zu meistern, wo Autos nicht erlaubt sind, erledigte sie einen Teil ihrer Arbeit vom Pferderücken aus. Die thematische Breite ihrer Arbeit zeigt sich in Publikationen, die von posthumanistischen Ansätzen im Zusammenleben von Mensch und Wildtier bis zur Analyse der medialen Darstellung von „Petfluencern" auf Instagram reichen.
Bevor sie nach Heidelberg zurückkehrte, war sie Projektkoordinatorin für den Verein WOHN: SINN – Bündnis für inklusives Wohnen e.V.. Ihre praktische Erfahrung außerhalb der Universität bereichert nun ihre aktuelle wissenschaftliche Arbeit. Dabei verbindet sie Mensch-Umwelt-Themen wie Umweltgerechtigkeit und inklusiven Katastrophenschutz mit Fragen der Teilhabeforschung und der Critical Disability Studies.
Die akademische Welt: Zwischen Leidenschaft und strukturellen Hürden
Für Dr. Poerting liegt die Faszination in der Wissenschaft in der intellektuellen Freiheit, sich mit selbstgewählten Fragen zu beschäftigen und gesellschaftlich relevante Forschung zu betreiben. Über die Lehre ergebe sich ihr die Möglichkeit auf einen bereichernden Austausch mit interessierten Studierenden. Im Gegensatz zur Schule, so erklärt sie, habe man an der Universität den Vorzug, mit Menschen zu arbeiten, die ein echtes Interesse am Fach mitbringen. Das wiederum bereichere die eigene Forschung. Dennoch verschließt sie die Augen nicht vor den Herausforderungen des deutschen Wissenschaftssystems, die sie offen und konstruktiv anspricht.
Sie thematisiert den hohen Konkurrenzdruck, der aus einer großen Zahl ausgebildeter Forschender und nur sehr wenigen Dauerstellen resultiert. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das die Dauer befristeter Verträge auf sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion limitiert, führt zu einer mangelnden Planungssicherheit für viele Nachwuchswissenschaftler.
Die starke Abhängigkeit von Betreuungspersonen in deutschen Forschungsgruppen, wobei diese gleichzeitig Mentor und Prüfer sind, kann das Arbeitsklima belasten oder bereichern. In den persönlichen Erfahrungen von Dr. Poerting war letzteres öfter der Fall. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in den Niederlanden oder den USA, wird die Promotion durch ein externes Verfahren geprüft. Die langwierigen Publikationsprozesse, bei denen ein einzelner Artikel nach mehrfachen Review-Schleifen leicht mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen kann, erfordern zudem viel Geduld.
Ratschläge und Perspektiven für die Zukunft
Aus ihrer Erfahrung leitet Dr. Poerting wertvolle Ratschläge für Studierende ab, die eine wissenschaftliche Laufbahn in Betracht ziehen. Sie ermutigt praktische Kurse wie Geländepraktika und HiWi-Stellen zu nutzen, um die eigenen methodischen und thematischen Interessen zu entdecken. Angehenden Promovierenden rät sie, sich im Vorfeld genau über die Betreuungspersonen und das „Arbeitsgruppenklima" zu informieren. Aus persönlichen Erfahrungen seien dabei wichtige Punkte, der Führungsstil, die Häufigkeit von Treffen und die Betreuungsintensität. Besonders relevant sei es, die Frage nach einer möglichen Weiterfinanzierung nach den üblicherweise drei Jahren Vertragslaufzeit zu klären, da eine Promotion selten in dieser Zeit abgeschlossen wird.
Vor allem aber hält sie ein „Plädoyer für nicht-lineare Karrierewege". Sie betont, dass es viele spannende, wissenschaftsnahe Jobs gibt, etwa im Wissenschaftsmanagement, in der Wissenschaftskommunikation, in Stiftungen, Ministerien, Umweltämtern oder Start-ups. Ihr eigener Weg ist das beste Beispiel dafür, wie sich eine akademische Karriere erfolgreich mit anderen Stationen verbinden lässt. Durch die Verbindung von kritischer Forschung, praktischer Erfahrung und einem offenen Dialog über die Strukturen der Wissenschaft steht Dr. Julia Poerting für einen engagierten Ansatz, der die Geographie an der Schnittstelle zu drängenden gesellschaftlichen Fragen positioniert.